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Definition Teil 2
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Was ist Prozessbegleitung?Postkarte mit Pferd

Seit 01.01.2006 hat jede/jeder Betroffene sexueller und körperlicher Gewalt das Recht auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung.

Psychosoziale Prozessbegleitung umfasst konkret die Vorbereitung auf das strafrechtliche Verfahren und die Begleitung. Sie steht den Betroffenen als auch deren Bezugspersonen offen. (Betroffene einer Straftat treten im Strafverfahren als ZeugInnen auf.)

Idealerweise beginnt die Prozessbegleitung mit dem Entschluss zur Anzeige, geht über die Vorverhandlung zur Hauptverhandlung bis zum Abschluss eines eventuell allfälligen pflegerechtlichen Verfahrens.

Ziel der Prozessbegleitung ist die Verminderung der sekundären Traumatisierung der Betroffenen durch den Strafprozess. Ziel der Prozessbegleitung ist weiters, die Rechte der Kinder und Jugendlichen bei einem Strafverfahren sicherzustellen und die Belastungen für Kinder und Jugendliche möglichst gering zu halten.


 

Warum/wozu psychosoziale und juristische Prozessbegleitung

Kinder und Jugendliche die Opfer sexueller Gewalt wurden, sind im Rahmen der Aufdeckung und Beendigung der Übergriffe in hohem Maß von Retraumatisierung bedroht. Retraumatisierung bedeutet die Schädigungen, die mittelbar durch das Verhalten der Umwelt oder durch die Intervention von professionellen HelferInnen und Bezugspersonen entstehen. Dadurch können Teile der Dynamik der Missbrauchssituation wiederholt und verfestigt werden, wodurch es zu einer Verstärkung der Schädigung kommt (Rupp, Wohlatz, 2002). Untersuchungen belegen, dass die Gefahr einer Retraumatisierung nach Ansicht vieler ExpertInnen im Kontext eines Gerichtsverfahrens besonders hoch ist (Kirchhoff, 1994).

Milli bei Gericht

Ziele der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung

Psychosoziale Prozessbegleitung hat zum Ziel, die Minderjährigen und deren Bezugspersonen vor weiteren schädigenden Einflüssen zu schützen. Gemeint sind hierbei Schuldzuweisungen, Druckausübung, Beeinflussung hinsichtlich der Einvernahmen und ZeugInnenaussagen.

Es soll Schadensbegrenzung stattfinden sowie auch die Opferrechte der/des Minderjährigen sollen gewährt werden. Psychosoziale Prozessbegleitung erweitert den Wissens- und Informationsstand der Minderjährigen und deren Bezugspersonen über die Ziele und Bedeutung der bevorstehenden Ereignisse (Einvernahmen durch Polizei, RichterIn, GutachterIn, …).

Arbeitsmethodik der psychosozialen Prozessbegleitung

  • Abklärung des Betreuungsauftrages mit den KlientInnen
  • Informationsvermittlung, Erklärung der einzelnen Schritte eines Strafverfahrens, Abwägen einer  Anzeige, Vorgehen des Straflandesgerichtes
  • Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu den Minderjährigen und den Bezugspersonen
  • Beratung und entwicklungsgerechte Information über Ziele und Bedeutung bevorstehender Abläufe

Anzeige: Abklären von Erwartungen und Wünschen, Konsequenzen einer Anzeige, Überblick über den gesamten Fallverlauf, Absprache aller ProzessbegleiterInnen.

Milli bei GerichtVorverfahren: Vorbereitung (räumliche und zeitliche Orientierung), Absprachen mit AnwältInnen, U-RichterInnen und Jugendwohlfahrt. Begleitung zur kontradiktorischen Einvernahme als Vertrauensperson, Nachbesprechung.

Hauptverfahren: Absprachen mit AnwältIn, HauptverhandlungsrichterIn und Jugendwohlfahrt. Vorbereitung und Begleitung der Bezugspersonen, Nachbesprechung.

  • Vorbereitung und Begleitung bei polizeilicher Einvernahme, Begutachtung durch Sachverständige, kontradiktorische Einvernahme, Gespräch mit der OpferanwältIn und sonstige Vorsprachen.
  • Planung und Organisation von Interventionen – Hilfeleistungen.
  • Kontakte zu und Koordination mit Bezirkshauptmannschaft/Jugendamt, Gericht, OpferanwältIn und anderen Beratungseinrichtungen.
  • Teilnahme an HelferInnenkonferenzen.
  • Krisenintervention und Organisation von weiteren Maßnahmen zur Krisenintervention.
  • Nachbetreuung nach Abschluss des Verfahrens und Organisation von therapeutischen Maßnahmen.

 


 

Was sind die Belastungsfaktoren in einem Gerichtsverfahren

Wohlatz und Rupp unterscheiden eine Reihe von Faktoren, welche die Retraumatisierung begünstigen können. Belastungsfaktoren können im Kontext der Anzeige, der Hauptverhandlung und des pflegschaftsrechtlichen Verfahrens auftreten.

Potentielle Belastungsfaktoren vor der Hauptverhandlung wären die lange Wartezeit zwischen Anzeige und Einvernahme bei Gericht; die wiederholten Befragungen; gynäkologischen Untersuchungen; Angst vor dem Gericht; Angst, dass RichterIn nicht glaubt; Angst, dass Drohungen wahr werden; Angst vor Reaktionen der Umwelt; Angst vor Öffentlichkeit; sowie Schuld- und Verantwortungsgefühle gegenüber der Familie und dem/der Beschuldigten. In dieser Phase kommt es außerdem häufig zu Verunsicherung durch fehlendes und/oder falsches Wissen über die bevorstehenden Abläufe.

Beängstigend während der Einvernahme wäre das Erschrecken über das imposante Gerichtsgebäude; die Wartezeit bis zum Aufruf; Angst, vor Aufeinandertreffen mit dem/der Beschuldigten; Angst, Bezugspersonen durch die Aussage zu belasten; Angst, alles zu vergessen oder erneut alles vor einer fremden Person erzählen zu müssen. Hinzu kommt die Befürchtung, dass das Gericht detaillierte Schilderungen der sexuellen Übergriffe hören möchte.

Belastend nach der Einvernahme kann unzureichende Information über das weitere Vorgehen sein; Erschöpfung; Angst vor dem Verfahrensausgang; Angst vor der Hauptverhandlung; Angst, nochmals aussagen zu müssen; lange Wartezeit bis zur Hauptverhandlung und vieles mehr.

Kann Prozessbegleitung die Stressfaktoren bei Kindern und Jugendlichen im Gericht reduzieren?

Im Curriculum für ProzessbegleiterInnen geben Rupp und Wohlatz an, dass das Kind die Möglichkeit braucht, Gefühle zu artikulieren. Angst ist eines der am häufigsten vorkommenden Gefühle im Rahmen der Prozessbegleitung und steht oft im Zusammenhang mit Schuld und Scham. Hilfreich ist daher, dass ProzessbegleiterInnen die Angst ansprechen und somit zum Thema machen.

ProzessbegleiterInnen geben Kindern, Jugendlichen und deren Bezugspersonen möglichst genaue Informationen darüber, was geschehen wird, wie die Räume aussehen, wer was tun wird, welche Möglichkeiten es gibt, wenn Schwierigkeiten auftauchen, etc. Kinder können sich so leichter auf das Geschehen einstellen und auch Angst machende Situationen antizipieren. Steirische ProzessbegleiterInnen haben die Möglichkeit mit dem Buch „Milli ist beim Gericht“ Bilder des Straflandesgerichts Graz, untersuchender Personen, aber auch der Räumlichkeiten zu zeigen. Dass Milli selbst zu Gericht muss und die Aussagen positiv bewältigt, wird von den Kindern als Vorbild wahrgenommen. Bei besonders ängstlichen Kindern empfiehlt sich das Gerichtsgebäude, den Einvernahmeraum und auch die befragende UntersuchungsrichterIn vorab aufzusuchen und kennen zu lernen. Dies minimiert die Gefahr, dass Kinder so eingeschüchtert sind, dass sie nichts aussagen, sich hilflos oder überfordert fühlen.

Hilfreich ist auch, den Betroffenen einen sicheren Rahmen zu vermitteln. Die ProzessbegleiterInnen sind Personen, die sich über das Geschehen auskennen. Sie finden im Gerichtsgebäude den richtigen Weg, wissen, wo sich der/die Beschuldigte aufhält, u.v.m.

Milli bei GerichtDie Begleitung selbst bringt unmittelbar Ich-Stärkung für das Kind, das Gefühl von Alleinsein, Ausgeliefertsein wird geringer. Das Kind hat hinterher eine Hilfe einzuschätzen, wie es das Erlebte ausdrücken konnte, wie gut es seine Aufgabe als ZeugIn gelöst hat. Dies macht leichter möglich zu erzählen, wie es die Situation empfunden hat.

Literatur:

Kirchhoff, Sabine (1994): Sexueller Missbrauch vor Gericht. Band 1: Beobachtung und Analyse, Dortmund.
Rupp, Sabine, Wohlatz, Sonja (2002): Prozessbegleitung von Kindern und Jugendlichen als Opfer von sexueller/körperlicher Gewalt. Bundesministerium für Inneres, Republik Österreich.

Conradi Katharina, Rupp Sabine, Wohlatz Sonja (2003): Milli ist beim Gericht“, Eigenverlag – Landesgericht Graz

Weitere detaillierte Informationen finden Sie unter: http://www.prozessbegleitung.co.at

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